HEGEMOM

HEGEMOM
Beine, 2 x 210 cm, Styropor, nach Vorlage mit Messer von Hand geschnitten, innen mit Sensen verstärkt, Oberfläche geschliffen. Drehstrommotor mit Stirnradgetriebe. Boden aus Wundpflaster mit hoher Polsterwirkung und Saugkraft. Filminstallation ‚Von der Achtung zur Ächtung‘. Betreten nicht möglich wegen Lebensgefahr.

AUSSTELLUNGSTEXT HEGEMOM (DOWNLOAD click here)

Hegemom beschäftigt sich mit den emotionalen Zuständen des Ausgesetztseins und der Unausweichlichkeit. Dabei geht es in der Folge um die beiden extremsten Gefühle, die es unter Lebewesen gibt: Macht und Ohnmacht. Die Konfrontation von Macht, die größer und stärker ist als jedes rechtliche oder menschliche Regelwerk und der Ohnmacht, die unausweichlich und nicht selten für die Zielperson vernichtend ist. Unausweichlich auch deshalb, weil es in manchen Beziehungen, Systemen und Institutionen Verbindungen und Abhängigkeiten gibt, derer man sich nicht entziehen kann. Die Installation Hegemom ist raumfüllend, es gibt kein Entkommen.
In der höchsten Geschwindigkeitsstufe dreht sich Hegemom so, dass nicht einmal ein Spitzensportler durch athletische Sprünge überleben würde. Sinnbild dafür, dass es nicht um Kraft, um Physis geht. Die raumfüllende Dominanz der Installation ist ein Akt der Beraubung – das Räumliche meint das Emotionale. Der Boden aus abfederndem und saugfähigem Wundpflaster steht einerseits für die Vulnerabilität derer, die in den Wirkungskreis der Hegemom geraten und einem verzweifelten Versuch, ihnen zu helfen. Andererseits ist der rein-weiße, friedlich wirkende und ästhetisch-sterile Boden ein Paradoxon, hat er doch der über ihm wütenden Übermacht Hegemom nichts entgegen zu setzen.Hegemom ist die Mutter aller Führer und Dominanzen.
Hegemom ist abgeleitet von „Hegemon, der Hegemonialmacht oder Hegemonie. Darunter versteht man die Vorherrschaft oder Überlegenheit einer Institution, eines Staates, einer Organisation oder eines ähnlichen Akteurs in politischer, militärischer, wirtschaftlicher, religiöser und/oder kultureller Hinsicht. Gegenüber einem Hegemonen (dem Machthaber in der Hegemonie) haben andere Akteure in einem sozialen System nur eingeschränkte Möglichkeiten, ihre eigenen Vorstellungen und Interessen praktisch durchzusetzen. Die theoretische/ juristische Möglichkeit dazu mag zwar gegeben sein, doch die Umsetzung scheitert meist an den Einflussmöglichkeiten und der Übermacht des Hegemons.“ (Wikipedia)
Die mit Sensen verstärkten Beine der Hegemom schneiden die Luft ab und knüppeln demjenigen die Beine weg, der sich ihr in den Weg stellt, ihr die Angriffsfläche bietet, auf die sie es abgesehen hat. Begibt man sich in den Einflussbereich der Hegemom oder wird dort hinein gezwungen, ist man verloren. Sofort wird man nieder gerissen. Versucht man wieder aufzustehen, erhält man den nächsten Tiefschlag. Zermürbung und Zerbrechen sind die Folge.
Die systematisch angestrebte Destabilisierung wird zum dauerhaften und unausweichlichen Zustand. Selbst ohne Unaufmerksamkeit oder eine andere Schwäche, schlägt man auf dem Boden auf und wird durch die Teufelskreisbewegung zerteilt und hin und her geschleudert. Man wird zum Spielball. Wie ein Punkt beim Ur-Videospiel ‚Pong’. Mit dem Unterschied, dass die Steuerung hier nicht die Schläger übernehmen, sondern die konsequente und alles aus dem Weg räumende Hegemom. Jede Beziehung beginnt mit Achtung – und wenn sie auch nur eine Sekunde währt. Von der Achtung zur Ächtung ist es nur ein kleiner Schritt oder Impuls. Nur zwei winzige Punkte liegen zwischen Achtung und Ächtung.



Auch in einer klassischen Hegemonialmacht sind die Grenzen zwischen Achtung und Ächtung fließend. Du willst Achtung? Dann spring über das Stöckchen. Du willst Ächtung vermeiden: Dann verhalte dich regelkonform, sei nicht aufständisch, stelle nichts in Frage. Ist die Ächtung in vollem Gange, wird sie von Institutionen geschützt oder mindestens toleriert, weil die Gewalt nicht direkt sichtbar ist und der Geächtete nicht als Person gesehen wird, die Schutz verdient, sondern die Schwäche zeigt. Schwäche und Schwache will die Gesellschaft nicht, der Starke hat die Mehrheit auf seiner Seite. Die Installation Hegemom hat Eindruck machende, riesenhafte, massige Schenkel und eine unüberwindbare Reichweite und Kraft. Die stetige und gleichmäßige Drehung zeugt von Selbstbewusstsein und dem starken Willen zur letzten Konsequenz. Das Ersetzen der Vulva durch einen kraftvollen Motor weist darauf hin, dass der zerstörerische Prozess der Hegemom auch männlich sein kann. Gleichwohl haben beide Geschlechter unterschiedliche Möglichkeiten und Vorgehensweisen, ihre Niederschläge zu platzieren. Viele geschlechtsspezifische Handlungen werden von einzelnen Institutionen geschützt und manchmal sogar unterstützt. Oft sogar so, dass die/der Aggressor/in sich nicht einmal die Hände schmutzig machen muss – so bleibt die Installation mit ihren Beinen auf das Minimale und Wesentliche reduziert.

Die immense Zerstörungskraft der Hegemom übertrug sich auch auf die Herstellung der Installation. Erst der fünfte Motor hielt den starken Schwingungen dieser Übermacht stand. Die Ausstellungseröffnung musste immer wieder verschoben werden. So, als wollte Hegemom sich nicht zeigen. Ein Diskussionsansatz, wie sich ihre Gewalt auf andere auswirken könnte, ist nicht in ihrem Sinne.

Die Installation Hegemom hat 3 Geschwindigkeitsstufen. Stufe 1 bedeutet ‚Im Kreis laufen, sich einfügen und spuren lernen’. In dieser Stufe besteht die wenigste Gefahr, man wird quasi gleichmäßig vor ihr hergetrieben. Verändert man nicht seine Geschwindigkeit, stoppt man nicht oder legt an Tempo zu oder verlangsamt sich, weil man eventuell noch einmal über alles nachdenken will, kann einem kaum etwas zustoßen. Stufe 2 bedeutet ‚Springen lernen’. Hierzu gehört schon etwas mehr als Anpassungsfähigkeit. Springt man, wenn es von einem verlangt wird, kann man auch hier, zumindest für kurze Zeit, unbeschadet davon kommen. Die Schwierigkeit ist jedoch nicht das Springen an sich, sondern die permanente Bereitschaft, die Habachtstellung. Springt man einmal nicht, kann einem das schon das Genick brechen. Stufe 3 ist die höchste Form der Unausweichlichkeit und führt zum Ausgesetztsein, zur Konfrontation, zum Kollaps. Selbst absolute Unterwürfigkeit bis zur beinahen Unsichtbarkeit, würde zur Zersensung führen – die Beine der Installation laufen nur ein paar Zentimeter über dem Boden. Hegemom bewegt sich meistens in Stufe 3. Nur so kann sie sich voll entfalten und einen Niederschlag nach dem nächsten setzen.

In Zeiten von Terror und Angst müssen auch die Aggressoren betrachtet werden, die ihre Bomben nicht sichtbar schmeißen oder in Gürteln um sich schnallen. „Es ist schwer, sich gegen eine Gewalt zu wehren, die weder greifbar noch beweisbar ist und die doch verletzt. Seelische Gewalt erniedrigt, nimmt die Selbstachtung, macht hilflos. Den Tätern dient sie dazu, ihr eigenes Ego zu erhöhen und ihre Gier nach Anerkennung und Bewunderung zu befriedigen……zeigt, wie verbreitet seelische Gewalt in Beziehungen, der Familie, am Arbeitsplatz ist, ja wie unsere gesamte Gesellschaft von dieser pervertierten Form des Umgangs miteinander durchdrungen ist.“ (Zitat Marie-France Hirigoyen aus ‚Die Masken der Niedertracht’)