Canalised emotions

The „Performance box for sorrow and shame“ was an art project carried out in the sewers of Frankfurt. Just like the sewers run deep under the city, some emotions hide deep beneath the surface. Various installations dealing with sorrow and shame were set up in two tunnels belonging to the sewer system. The installation had to be closed at short notice due to heavy rainfall and afterwards visitors had to wear rubber boots.

 

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click on play to listen to the audio-installation in the ‚Schamkanal‘

 

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click on play to watch video installation in the ‚Tränentunnel‘

 

Szenen aus der Tiefe.
Nahaufnahmen vom Bodensatz der Gesellschaft.

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click here or on the pic above to visit website „willkommen ganz unten“

 

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click here to read interview on ‚Deutschlandradio Kultur‘

 

Text Wandinstallation ‚Schamkanal‘:

Er näherte sich der Schamgrenze. Heute ließen sich wieder besonders viele nach unten ziehen. Manche kamen mehrmals täglich in die Versenkung. Er beobachtete das Drängen zu den Schamhelmen, das ohne jeden Körperkontakt geschah. Die Schamgrenzen lagen unter der Erde. Man sollte sich in Grund und Boden schämen. Dazu gehörte auch die unterwürfig gebückte Haltung, die man einnehmen musste, wenn man in die schmale Luke abstieg. Er blickte über die Köpfe der Wartenden zu den exakt justierten Betonmauern, mit den auf Kopfhöhe getrockneten Blutspritzern. Wie Höhlenmalereien aus einer anderen Zeit erschienen sie ihm. Viele schämten sich noch illegal. Schlugen ihren Kopf mit voller Wucht gegen den Beton der Schammauern. Seit kurzem wurden sie weggesperrt. In 1 Quadratmeter große Zellen. In denen sie weiter ihre Schädel malträtierten. Der zivilisierte, schuldbewusste Bürger schämte sich jedoch etwas gepflegter: Gesicht zur Wand, Beine breit, Schamhelm aufsetzen, Schambein und Hände an die Wand, Kopf gegen die Wand schlagen. Bitte sehr, probieren Sie es aus. Egal für was oder warum Sie sich schämen, der Kanal hat einen für Ausgleich sorgenden Düker. Er nimmt ihre Scham in Form von Schweiß, Tränen oder Schaum, der sich womöglich vor ihrem Mund bildet, auf. Und leitet alles in ein regulatives Kanalsystem. Das ist entlastend. Schon die Römer hatten Düker. Und sich für einiges zu schämen.

Die Parolen der Schamgrenzwächter auf den Schamschildern schlugen in sein errötetes Gesicht. WER AUFFÄLLT, ISOLIERT SICH Er schämte sich, hier zu sein. Nicht zuletzt, weil er gar nicht mehr so recht den Grund dafür kannte. Des Deutschen Kabaa war die Schamgrenze. Wer dort nicht schon mal gewesen war, besaß keine Ehrfurcht, hatte keinen Deut Deutsches in sich. NUR WER SICH SCHÄMT, ERHÄLT MILDERNDE UMSTÄNDE SEINER MITMENSCHEN. Die mit der Kabaa haben es besser, dachte er sich. Die müssen nur einmal dahin pilgern. Wir müssen das ganze Leben lang an die Schamgrenze. An der Kabaa trampeln sie sich zu Tode. Wir schämen uns zu Tode. Einen Schämteppich bräuchte man, der in die Aktentasche passt.

Es ging nur mühsam voran. Sein Rücken schmerzte. Eine Hand streichelte über seinen Hintern. Bevor er zu Ende überlegen konnte, ob er sich dafür schämen musste, Arsch statt Hintern zu denken, molk die Hand seine rechte Gesäßhälfte. Wie alle hier, litt er unter Erythrophobie. Er versuchte, sich abzulenken, die Definition für Erythrophobie aufzusagen, um eben den Folgen dieser Phobie zu entgehen. „Unter Erythrophobie versteht man die Angst vor der Farbe Rot und dem Erröten. Sie wird vor allem durch Furcht vor dem Versagen, Scham oder peinliche Situationen ausgelöst. Da Erythrophobie eine soziale Phobie ist, ist sie nicht mit anderen Phobien, wie zum Beispiel Höhen- oder Spinnenangst zu vergleichen.“ Es half nichts. Die Hand schlüpfte in seine Hose und knetete weiter. Ein Finger rutschte in seine, gefälschte Calvin Klein Boxershorts, um dann in seinem hochdeutschen Anus zu landen. Sein Gesicht war nun so rot, wie das seiner Nachbarn, die sich bemühten, dieses Schauspiel nicht zu bemerken (wie die Nachbarn, die sich bemühen, den letzten Satz zu überlesen). Aber zwischen den Fingern der Hände, die sie sich vor ihre Gesichter hielten, war noch ausreichend Platz, hindurch zu lechzen. Die Menge wiederholte im Chor, was sie auf den Schildern lasen DAS SCHLIMMSTE VERGEHEN IN EINER SCHAMKULTUR BESTEHT DARIN, SICH NICHT ZU SCHÄMEN, WENN MAN SICH SCHÄMEN SOLLTE Immer und immer wieder.

Gleichmäßig bewegte sich der Finger rein und wieder raus. Erst die Professionalität dieser Bewegungen machte ihm klar, mit wem er es hier zu tun haben musste. Sie kamen ganz plötzlich. Und man erfuhr nie, warum man gerade jetzt von ihnen ausgewählt wurde. Fluchthelfer. Immer mehr schafften es mit professionellen Fluchthelfern über die Schamgrenze. Seine Augen traten aus seinem leuchtroten Kopf hervor. Er drehte sich um und sah eine blasse, fast regungslose und doch wunderschöne Fluchthelferin. Bisher war ihm nie eine Fluchthelferin in seinem Viertel oder Darm begegnet. Aber er kannte die so genannten „Unroten“ von den zahlreichen Fahndungsfotos, die am EC-Automaten seiner Sparkassenfiliale hingen. Wenigstens eine Fluchthelferin und kein Fluchthelfer, hatte er noch Zeit zu denken. Sie nahm einen zweiten Finger. Aus seinem Mund trat ein Speichelstrom, der einfach nicht versiegen wollte. Diese Peinlichkeit katapultierte ihn in einem Satz vor alle Wartenden direkt an die Schamgrenze. Um ihn herum wurde Platz gemacht. Die Abwendungsphase begann. Auf die der Zugriff folgen sollte. Über ihm kreiste ein Hubschrauber, aus dem ein riesiger Zeigefinger, eine Fallleiter, geworfen wurde. Seine finale Chance, aus eigenem Willen den Fluchtversuch abzubrechen. Das letzte Schamschild, das er bewusst wahrnahm, war: ——-DIE ÜBERTRETUNG DER GESELLSCHATLICH SANKTIONIERTEN SCHAMGRENZE WIRD MIT GESICHTSVERLUST BESTRAFT———- Er zog seine Hose und seine Boxershorts aus und wartete darauf, ausgelacht zu werden. Doch um ihn herum waren nur noch Menschen, die keine Gesichter mehr hatten. Er suchte einen Spiegel. Vergeblich. Auch sein Gesicht war verschwunden. Und damit seine Errötung.